Europabrief November 2012

 

Eros reitet auf dem Panther. Liebe und Ehe in den Weltreligionen 

Von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

„Haben wir den richtigen Begriff von Liebe? Er ist bei uns oft sentimental, weichlich geworden. (...) Die Moderne muss die Liebe als etwas viel Weiträumigers, Furchtbareres und Gewaltigeres denken, als sie es tut.“ Romano Guardini

Ist unser Verständnis von Liebe nicht zu weich? Liebe und Ehe werden in den großen Traditionen der Welt weniger als traute Zweisamkeit denn als göttliche Handlung verstanden. Liebe und Ehe haben in der Geistes- und Religionsgschichte der Welt immer mit  Weltschöpfung und Welterhaltung zu tun. Der romantische Zweierbezug steht hier nicht im Vordergrund. In den indischen Traditionen ist das ganz stark ersichtlich, wo es noch sehr häufig ist, von Verwandten verheiratet zu werden. Auch in der nordischen Edda heißt es: „Sie heirateten und dann gewannen sie einander lieb.“ Unser Bezug auf „Ich und Du“ ist eigentlich ein spätes und sehr individualistisches Konzept.

Auch im Hinduismus ist der Sexualakt in der Ehe ein sakraler Akt. Bei dreitägigen Feiern der Hochzeit nähert sich der Bräutigam der Braut erst in der dritten Nacht. Zuvor gibt es zahllose religiöse Segnungen.

Die erotische Begegnung wird in vielen asiatischen Tantren als Fortsetzung und Stabilisierung des Uranfangs der Welt verstanden. Auch hier heiratet ein Paar nicht nur als Ausdruck einer privaten Liebe, sondern um an der Weltschöpfung mitzuwirken. Wo man heiratet, wird Welt geschaffen.

Es geht also nicht vorrangig um Triebe oder Bedürfnisse – es geht um den Zusammenhalt des Weltalls. Dieses sakrale Mitwirken ist eine deutliche Parallele zur Sakralität der Ehe im Christentum. Gerade weil der Eros „auf dem Panther reitet“ (wie die Griechen sagen), muss er unbedingt in den Raum des Heiligen gestellt werden.

Lebendiges besteht nicht aus harmonischen Kräften. In den Mythen unterschiedlichster Kulturen gibt es ein polares Gegenüber von Mann und Frau. Diese Kräfte sind gleichgewichtig, aber deutlich unterschieden und getrennten Aufgaben zugeordnet. Auch im Yin und Yang von Lao Tse ist dies deutlich ausgedrückt. Die Frau stellt sich dem Mann als Rätsel, das er unter Einsatz aller Kraft lösen muss. Damit steht sie für Bewegung und ein bisschen auch für Irritation. Sie erprobt ihn und er setzt sie frei. Die Frau wird nur am Mann zur Frau und zur Mutter. Der Mann wird nur an der Frau zum Mann und Vater.

Es gehört mehr Mut dazu, sich auf das andere Geschlecht einzulassen als auf das eigene. Und in der Begegnung der Geschlechter liegt ein Ausdruck der göttlichen Spannung. Die Spannung richtig zu lenken ist die eigentliche Bedeutung des Wortes keusch. Denn keusch kommt vom lateinischen „conscius“ - „bewußt“. Keusch sein heißt also nichts anderes, als die eigene Energie bewußt auszurichten anstatt sie laufenzulassen.

Beziehung heißt auch, dass man von jemanden und zu etwas hingezogen wird und aus sich heraus gezogen wird. In allen großen Traditionen erkennt man das Zusammenspiel von Mann und Frau. Gegenpole sind notwendig, damit sich etwas bewegt, damit etwas in Betrieb kommt! Die polaren Geschlechter arbeiten nach einem Schloss – Schlüssel – Modell. Zwei Schlüssel schließen nichts auf, zwei Schlösser öffnen sich nicht gegenseitig. Es gibt keine Zwei-Einheit aus Gleichem, es gibt nur die Zwei-Einheit aus Gegensatz. Wer diesem zutiefst Anderen ausweicht, weicht dem Leben aus. Leben und großes Glück liegen im Anders-Sein.

 

Buchtipp (dt): „Frau-Männin-Menschin. Zwischen Feminismus und Gender“, von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Verlag Butzon&Bercker Kevelaer, 2009.